1. Einleitung

1.1. Franzi kommt kaum zum Üben

Franzi beginnt ihren Gitarrenunterricht. In den ersten Wochen stellt die Lehrkraft fest, dass sie eher geringe Fortschritte macht, obwohl sie im Unterricht eine gute Aufmerksamkeitsspanne zeigt. Die Lehrkraft fragt Franzi nach ihrer Übungsroutine zuhause. Franzi erklärt, dass sie aufgrund ihres vollen Tagesablaufs kaum Zeit zum Üben findet.

Die Lehrkraft erkennt ihre Ressourcen: Franzi ist motiviert. Ihre Geduld und ihre gute Aufmerksamkeitsspanne helfen ihr beim intensiven Üben während des Unterrichts. Doch zuhause findet sie kaum Zeit für ausgedehnte Übungssessions. Regelmäßige, disziplinierte Übungszeiten am Instrument sind für sie in ihrer aktuellen Lebenssituation nicht möglich. 

Die Lehrkraft übt in dieser Stunde erneut intensiv mit Franzi und entwickelt aus dem Übungsmaterial kleine musikalische Sequenzen, die das aktuelle Material beinhalten. Anstatt ihr einen Übungsplan mitzugeben, schlägt sie vor, die Sequenzen gelegentlich zu spielen.

Zu Beginn der nächsten Stunde berichtet Franzi ihrer Lehrkraft, dass sie sich in der letzten Woche öfter kurz die Gitarre genommen hat und einige Sequenzen gespielt hat. Dies hat ihr Spaß gemacht. Die Lehrkraft stellt fest, dass durch die Wiederholung der Bewegungsabläufe des Unterrichtsmaterials anhand der Sequenzen Franzi den aktuellen Stoff gut verinnerlicht hat.

Dieses Beispiel zeigt, wie ressourcenorientierter Gitarrenunterricht funktioniert. Die Lehrkraft hat anhand der Stärken der Schülerin eine Methode entwickelt, die es ermöglicht, den Unterricht erfolgreich und angepasst an die Lebenssituation der Schülerin zu gestalten.

1.2. Was sind Ressourcen im musikpädagogischen Kontext

Im musikpädagogischen Kontext beziehen sich Ressourcen auf die vielfältigen Mittel und Fähigkeiten, die Schülerinnen und Schüler mitbringen und die im Lernprozess genutzt werden können. Die Lehrkraft kann die Ressourcen der Schüler nutzen, um den Unterricht zu individualisieren und zu optimieren.

1.3. Was ist ressourcenorientierter Gitarrenunterricht ?

Ressourcenorientierter Gitarrenunterricht ist eine pädagogische Herangehensweise, die darauf abzielt, die individuellen Stärken und Potenziale der Schülerinnen und Schüler bestmöglich zu nutzen. Im Gegensatz zu einem starren Lehrplan, der für alle Schüler gleichermaßen gilt, wird hier der Unterricht individuell gestaltet.

Im Mittelpunkt dieses Ansatzes steht die Anerkennung der vielfältigen Ressourcen, die ein Schüler mitbringt. Dies bedeutet, dass der Lehrer nicht nur den Fokus auf das zu vermittelnde Wissen legt, sondern auch darauf achtet, was der Schüler mitbringt und wie sein musikalisches Umfeld gestaltet ist.

Ein wichtiger Aspekt des ressourcenorientierten Gitarrenunterrichts ist die aktive Einbindung der Schüler in den Lernprozess. Die Unterrichtsgestaltung orientiert sich an der Lebenswelt der Schüler und ist praxisnah und persönlich. 

Die Lehrkraft ist bestrebt, anhand der Lebenswelt, der persönlichen Eigenschaften und Interessen der Schüler den Unterricht bestmöglichst zu gestalten.

2. Ressourcenorientierung in der Unterrichtspraxis

2.1. musikpädagogische Ressourcen

2.1.1. Individuelle Ressourcen

Individuelle Ressourcen sind die individuellen Fähigkeiten und Eigenschaften, die ein Schüler in sich selbst trägt. 

Zu den wichtigsten individuellen Ressourcen gehören:

• Motivation: Die Bereitschaft zum Lernen
• Interessen: Z.B. für bestimmte Musikgenre oder -stile 
• Musikalisches Gehör und Intuition: Fähigkeit, Melodien, Harmonien und Rhythmen präzise wahrzunehmen und auf intuitive Weise musikalische Entscheidungen zu treffen und sich in die Musik einzufühlen
• Vorkenntnisse und Fähigkeiten: Z.B. aus dem Musikunterricht in der Schule, durch musizieren in der Freizeit, durch ein anderes Instrument
• Kreativität und Ausdrucksvermögen: Fähigkeit, eigene musikalische Ideen entwickeln und Emotionen und Gedanken durch die Musik auszudrücken
• Disziplin und Lernbereitschaft: Fähigkeit, sich regelmäßig dem Üben zu widmen und an sich zu arbeiten
• Musiktheoretisches Verständnis: Fähigkeit, strukturelle und harmonische Elemente eines Musikstücks zu erkennen und zu verstehen
• Geduld und Ausdauer im Übungsprozess: Aufmerksamkeitsspanne, die Fähigkeit, die Bewegungsabläufe beim Gitarrenspiel oft zu wiederholen und dabei zu verbessern
• Kritikfähigkeit und Offenheit für Feedback: Fähigkeit, konstruktives Feedback zu verstehen und zu verarbeiten

2.1.2. Soziale Ressourcen

Soziale Ressourcen sind Fähigkeiten und Eigenschaften, die ein Schüler von seinem Umfeld erhält. 

Zu den wichtigsten sozialen Ressourcen gehören:

• Unterstützung durch die Familie und Freunde: Interesse entgegenbringen, Unterstützung bei organisatorischen Belangen
• Teilnahme an Musikprojekten und -veranstaltungen: Gemeinsam mit und für Andere musizieren

2.1.3. Materielle Ressourcen

Materielle Ressourcen im musikpädagogischen Kontext beziehen sich auf die physischen Elemente und Instrumente, die für den Gitarrenunterricht benötigt werden. 

• Das Musikinstrument: Die Qualität und die richtige Größe der Gitarre
• Notenmaterial und Musik: Die Verfügbarkeit von Notenmaterial, Übungsbüchern und Lehrmaterialien, aber auch der Zugang zu Musik, z.B. CD's, Youtube, etc. 
• Zubehör und Ausstattung: Saiten, Stimmgerät, Gitarrenständer, Plektren und weiteres Zubehör, für die regelmäßige Wartung und Pflege des Instruments 
• Aufnahme- und Wiedergabegeräte: Die Möglichkeit, Aufnahmen des eigenen Spiels anzuhören, ermöglicht es, sich selbst zu reflektieren 
• Raum und Umgebung: Ein geeigneter Übungsraum 

2.1.4. Kulturelle Ressourcen

Kulturelle Ressourcen im musikpädagogischen Kontext beziehen sich auf die musikalischen Einflüsse, Traditionen und kulturellen Hintergründe, die den Lernprozess eines Schülers prägen.

• Musikalische Traditionen und Stile: Kenntnis und Wertschätzung über kulturelle und stilistische Vielfalt in der Musik 
• Interkultureller Austausch: Austausch mit Musikern aus verschiedenen Kulturen
• Kulturelle Werte und Identität: Entwicklung der musikalischen Identität

2.1.5. Technische Ressourcen

Technische Ressourcen im musikpädagogischen Kontext beziehen sich auf analoge und digitalen und technische Hilfsmittel.

• Aufnahmetechnik: Die Möglichkeit, das eigene Spiel aufzunehmen
• Digitale Lernplattformen: Online-Plattformen und Lernprogramme mit Übungsanleitungen, Notenmaterial, Tutorials
• Musiksoftware und Apps: Programme zur Musikproduktion, Notationssoftware o.ä.
• Online-Communities und Foren: Möglichkeit, sich mit anderen Musikern auszutauschen, Fragen zu stellen und sich gegenseitig zu unterstützen

2.2. Voraussetzungen für ressourcenorientierten Gitarrenunterricht

Damit der ressourcenorientierte Gitarrenunterricht effektiv umgesetzt werden kann, sind bestimmte Voraussetzungen erforderlich:

• Individuelle Diagnose: Eine gründliche und ständige Analyse der individuellen Ressourcen jedes Schülers ist essenziell. Dies erfordert Zeit und Aufmerksamkeit seitens des Lehrers.
• Flexibilität im Unterrichtsplan: Der Lehrer passt den den Unterrichtsplan situativ, um den individuellen Bedürfnissen und Fortschritten der Schüler gerecht zu werden.
• Zugang zu geeigneten Materialien: Es ist wichtig, dass der Schüler über das notwendige Übungs- und Lehrmaterial verfügt, das auf seine individuellen Ressourcen zugeschnitten ist.
• Offene Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler: Eine vertrauensvolle Beziehung und offene Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler sind entscheidend, um die individuellen Ressourcen des Schülers optimal zu nutzen.
• Raum für Experimente und Kreativität: Der Unterrichtsraum sollte ein Umfeld schaffen, in dem der Schüler seine kreativen Ideen frei entfalten kann.
• Feedbackkultur etablieren: Ein konstruktives Feedback, das auf den individuellen Ressourcen des Schülers aufbaut, ist essenziell, um den Lernprozess zu unterstützen.

Diese Voraussetzungen erfordern eine Zusammenarbeit zwischen Lehrer und Schüler sowie die Bereitschaft beider, sich auf die individuellen Stärken und Potenziale einzulassen.

2.3. Didaktische Umsetzung

Die didaktische Umsetzung im ressourcenorientierten Gitarrenunterricht bezieht sich auf die konkrete Gestaltung und Umsetzung des Unterrichts, um die individuellen Ressourcen des Schülers bestmöglich zu nutzen.

• Diagnose der individuellen Ressourcen: Zu Beginn des Unterrichts ist es entscheidend, die individuellen Stärken, Fähigkeiten und musikalischen Hintergründe des Schülers zu erkennen. Dies kann durch gezielte Gespräche, Beobachtungen und ggf. diagnostische Übungen geschehen. Auch im weiteren Verlauf werden Ressourcen von der Lehrkraft festgestellt.
• Maßgeschneiderte Lernziele setzen: Basierend auf der Diagnose werden individuelle Lernziele festgelegt, die den Schüler herausfordern und gleichzeitig ermutigen, seine vorhandenen Ressourcen zu nutzen.
• Anpassung des Lehrmaterials: Das Unterrichtsmaterial wird entsprechend der Ressourcen des Schülers ausgewählt und angepasst. Dies schließt die Auswahl von Stücken, Übungen oder technischen Herausforderungen ein.
• Kleinschrittige Anleitung und Feedback: Der Unterricht wird in passende kleine, gut verdauliche Schritte unterteilt, die es den Schülern ermöglichen, schrittweise Fortschritte zu machen. Regelmäßiges Feedback seitens des Lehrers unterstützt den Lernprozess.
• Förderung der Selbstreflexion und Eigeninitiative: Die Schüler werden ermutigt, sich selbst zu reflektieren, Ziele zu setzen und eigenständig zu üben. Sie werden zu aktiven Gestaltern ihrer Lernprozesses und erfahren dabei Selbstwirksamkeit.

Die didaktische Umsetzung im ressourcenorientierten Gitarrenunterricht zielt darauf ab, den Unterricht so zu gestalten, dass er optimal auf die individuellen Stärken und Potenziale des Schülers eingeht. Dies erfordert eine flexible und einfühlsame Herangehensweise seitens des Lehrers, der in der Lage ist, den Unterrichtsverlauf situativ anzupassen.

Beispiele

2.3. Vorteile des ressourcenorientierten Gitarrenunterrichts

Ressourcenorientierter Gitarrenunterricht ist ein innovativer Ansatz, der die individuellen Ressourcen der Schüler berücksichtigt. Dazu gehören die persönlichen Interessen, Fähigkeiten und Vorkenntnisse. Im Gegensatz zu traditionellen Ansätzen, die sich häufig auf die Vermittlung von technischen Fähigkeiten fokussieren, kann ressourcenorientierter Gitarrenunterricht auch die Entwicklung der Persönlichkeit und des Selbstbewusstseins der Schüler fördern. Die Orientierung an der Lebenswelt kann die persönliche Beziehung der Schüler zur Musik fördern.

Dies kann entsprechend der Vielfalt der Ressourcen auf vielen Ebenen geschehen. 

Aufgrund der ständigen Orientierung an verschiedenen Konstellationen von Ressourcen entsteht für die Lehrkraft ein großer Erfahrungsschatz im Gitarrenunterricht.

3. Fazit und Ausblick

3.1. Fazit

Der ressourcenorientierte Gitarrenunterricht ist ein wegweisender Ansatz, der die individuellen Stärken und Potenziale der Schüler in den Mittelpunkt stellt. Durch gezielte Nutzung dieser Ressourcen wird der Unterricht maßgeschneidert und effektiv gestaltet. Die Geschichte von Franzi verdeutlicht, wie dieser Ansatz in der Praxis funktioniert. Durch die Erkennung von Franzi's Motivation und Aufmerksamkeitsspanne im Unterricht sowie die Anpassung des Übungsmaterials an ihre individuelle Situation, konnte sie Fortschritte machen und Freude am Musizieren finden.

3.2. Ausblick

Der ressourcenorientierte Gitarrenunterricht bietet eine vielversprechende Perspektive für die zukünftige Gestaltung des Musikunterrichts. Es ist zu erwarten, dass dieser Ansatz weiter an Bedeutung gewinnen wird, da er den Schülern ermöglicht, ihr musikalisches Potenzial voll auszuschöpfen und eine tiefe Verbindung zur Musik zu entwickeln. 

Insgesamt zeigt der ressourcenorientierte Gitarrenunterricht, dass ein individualisierter, auf die Stärken und Ressourcen der Schüler ausgerichteter Ansatz zu nachhaltigen musikalischen Erfolgen führen kann. Dieser Ansatz verspricht eine musikalische Ausbildung, die nicht nur effektiv, sondern auch inspirierend und bereichernd ist.